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Mittwoch, 18. Mai 2016

Lost in SH

Paaah, ich kneife doch nicht am zweiten Tag und nehme die Bahn. Ich fahre selbstverständlich mit dem Fahrrad. Nach Friedrichstadt. Zug, ich glaube, es hackt! Zwar habe ich weder einen geeigneten noch einen ungeeigneten Plan, aber mein Navi wird es schon richten. Na, denkste!

Die Pension teile ich mir mit zwei oder drei Monteuren und einem Mann mittleren Alters aus Magdeburg, der mit seinen Eltern samt Auto, Anhänger und E-Bikes von Ort zu Ort fährt, um vom jeweiligen Standort aus Radtouren zu unternehmen. Abends klopfe ich bei den drei jungen Männern um zu fragen, wann sie anderntags aufbrechen müssten und so erfahre ich, dass ich ab sieben Uhr in der Frühe freie Bahn im Bad haben werde. Da wusste ich allerdings noch nicht, dass eben auch besagte Rad-Touristen im Haus logieren und nachdem ich den Sohn morgens ausgiebig husten höre und später seinen Frosch im Waschbecken vorfinde, verzichte ich großzügig auf das Zähneputzen.

Ich packe meine Sachen zusammen und kümmere mich um das Vorderrad, dass mich gestern fast zum Sturz gebracht hat. Nun, es ist tatsächlich locker, aber ich spanne es eben nach. Kein Ding. Dann klemme ich meine Taschen an den Gepäckträger und befestige die Lenkertasche in den dafür vorgesehenen Klickfix. In mein Fahrradkörbchen lege ich den Beutel mit meinem Proviant und bin abfahrbereit ... also nachdem ich Teile meiner Regenbekleidung angezogen habe.


Ich bin ähnlich gut vorbereitet, wie gestern, nur mit dem kleinen Unterschied, dass es gestern wenigstens eine mehr oder weniger klare Linie - den Nord Ostsee Kanal Radwanderweg inklusive einem passenden Bikeline-Führer - gab. Aber nach Friedrichstadt konnte ich irgendwie keine Struktur erkennen. Viele Wege, bzw. Teil-Abschnitte führen dort hin und so stürze ich mich einfach mal so in den Tag. Dumm ist jetzt nur, dass ich noch nicht einmal weiß, in welche Richtung ich Rendsburg überhaupt verlassen muss und so drehe ich einfach noch mal eine kleine ... ääääh ... sagen wir mal  'Besichtigungsrunde' ... durch die Stadt. Ich komme an einem Rad-Wegweiser vorbei, auf dem zu lesen ist, dass es zum Bahnhof nur schlappe 100 Meter sind, nach rechts, ... aber pöööh ... Obwohl ich das mal im Hinterkopf behalte. So für den Notfall, sozusagen. Ich komme an einer Marina vorbei und als ich zum dritten Mal eine Tanke passiere, bin ich leicht genervt. Beim zweiten Mal dachte ich noch, dass es wohl eine andere sein muss, aber Pustekuchen, es war jedes Mal die selbe.

Wie dem auch sei, ich halte an und studiere die Karte, die Lil' Ben und ich zu Hause in mühevoller Kleinarbeit zusammen geklebt hatten. Es ist ja so, dass die Etappen Rendsburg-Friedrichstadt und Friedrichstadt-Büsum auf mehrern Anschlusskarten verteilt sind und wir im Rahmen der Gepäck-Optimierung und der besseren Übersicht (hahaha) aus vier Karten eben eine gemacht hatten, die aber nass und immer nasser wird, je länger ich ratlos auf sie drauf starre. Das einzige, was sich mir erschließt, ist, dass ich irgendwie nach Fockbek kommen muss. Also zunächst einmal nach Fockbek. Ok, dann muss es Ol' Tom halt richten. Handy-Navi fällt aus, wegen Wetter.

Nach endlos langer Wegstrecke erreiche ich Fockbek und studiere meine Karte, die sich langsam in ein großes und zusammenhängendes Feuchtgebiet verwandelt. Aber gut, hier ist Moor, warum soll es sich nicht auch auf der Karte wiederspiegeln? Noch habe ich Humor. Die nächste Station, so kann ich ermitteln, ist der Fockbeker See - ich denke mittlerweile in kleinen Abschnitten -  und suche mich auf den Weg.  Da ich also echt keine Ahnung habe, wo ich bin ... also ok, Fockbek ... und wo ich hin will ... also ok, Friedrichstadt, aber das hilft mir im Moment nicht weiter ... radel ich einfach mal in Richtung Husum. Das ist ausgeschildert und die grobe Richtung. Immerhin hatte ich gestern Zugfahrpläne studiert und ich hätte von Rendsburg nach Husum fahren, in Husum nach Friedrichstadt umsteigen und ein Stück zurückfahren müssen. Also grobe Richtung Husum. Da kann nichts schief gehen, da werde ich über kurz oder lang wenigstens in die Nähe von Friedrichstadt kommen und im Glücksfall den Ort sogar streifen. Dachte ich. In Fockbeck stoße ich auf einen Radweg, der Ochsenweg heißt. Allerdings glaube ich, mich trifft der Schlag. Der ausgewiesene Radweg ist eine einzige Matschkaule. Wurzelwerk wächst quer über den höchstens einspurigen, mit eng stehenden Bäumen gesäumten Weg und dank der Wetterlage ist alles verschlammt. Boah, ich bin genervt. Und außerdem ist ständig ein Wanderweg in's Fockbeker Moor ausgewiesen und da will ich nicht hin. Ergeben meistere ich die Rutschpartie und stoße irgendwann auf eine Schotterpiste, die durch ein Waldstück führt. Von oben greifen mich Militärflugzeuge an, die im Sinkflug über mich hinweg donnern. Moah, ich will nach Hause. Mamaaaaaa! Es regnet mittlerweile heftiger. Mein Rad sieht aus wie Sau und selbst der Sattel bekommt seine Ladung Matschepampe ab, als ich absteige und mit dem Schuh an selbigem hängen bleibe. Zum Glück gab es keinen Umfaller. Ich hätte gekotzt, ehrlich!

Madame Schotterpiste hat aber auch einmal ein Ende und ich komme an eine Landstraße. Es gibt zwei Möglichkeiten, nämlich links oder rechts rum zu fahren und da ein Radwegweiser anzeigt, dass es links nach Husum geht, fahre ich natürlich links. Aber hey, das ist kein Radweg. Das ist definitiv eine Landstraße. Es gibt noch nicht mal einen Seitenstreifen, der breiter als ein Minirock lang wäre. Aber da stand ein Schild. Für Radwanderer! Meine Güte, wo bin ich hier gelandet. Tapfer fahre ich weiter, nichts ahnend, dass es noch schlimmer kommen sollte.

Nach ein paar Kilometern ist Ende! Schicht! Nichts geht mehr, also ohne militärische Legitimation. Ich stehe vor einem Tor. Einem geschlossenen Tor mitten auf der Landstraße und es führt kein Weg daran vorbei. Hallo? Da stand ein Wegweiser! Was soll das? Aber gut, nützt ja nichts. Militärischer Sicherheitsbereich, Fliegerhorst Hohn (und ich empfinde die ganze Angelegenheit langsam als solchen). Ich muss umkehren und irgend_wohin fahren. Hatte ich erwähnt, dass ich nach Hause will? Also falls nicht, ich will nach Hause. Wenn ich heute in Friedrichstadt ankomme - und lustigerweise zweifle ich keinen Augenblick daran - dann lasse ich meine Plörren da stehen, fahre postwendend mit dem Zug zurück nach Kiel, hole mein Auto, packe alles ein und fahre nach Hause. Was eine Schnapsidee, das Ganze war. HOHN!

Aus lauter Verzweiflung programmiere ich mein TomTom und weil es mal wieder nicht so recht weiß, was "Radweg" bedeutet, schalte ich kurzerhand auf "Autobahn vermeiden" und fahre die Straße zurück. Ich komme durch hübsche Orte, die u. a. Lohe, Tetenhusen, Königsberg ... wenn ich Svenja jetzt ticker, dass ich in Königsberg bin, macht sie sich Sorgen, dass ich zu weit nach Osten abgedriftet bin (oder zeigt mir einen Vogel) ... Christiansholm und Erfde heißen.

Seit einiger Zeit macht mein Vorderrad zicken. Irgendetwas schleift und der Reifen macht schmatzende Geräusche. Leider entdecke ich keine Fahrradwerkstadt und so frage ich in Erfde einen recht kommunikativen Mann, der mir über den Weg läuft. Überhaupt scheint mir Schleswig Holstein ein Land zu sein, in dem gerne und viel geredet wird. Wenigstens mit Fremden. Nein, eine Fahrradwerkstadt gibt es hier nicht, höchstens in Hohn. (Langsam fühle ich mich veralbert). Aber ich habe keine Lust, den ganzen Weg wieder zurück zu radeln und so lasse ich es drauf ankommen. In Friedrichstadt wird es wohl einen Mechaniker geben, der das Malheur richten kann. Der Mann erzählt mir noch, dass es bis in's 20 Kilometer entfernte Friedrichstadt ab jetzt eine schöne Strecke ist. Radwege und so. Hocherfreut mache ich mich wieder auf den Weg.

Der Radweg führt ... natürlich ... an einer Bundesstraße entang ... und endet abrupt. Einfach so. Mitten im Gelände. Weg! Aus, vorbei, fini! Cool! Meine Nerven liegen mittlerweile derartig blank, dass mich das jetzt auch nicht mehr interessiert und so fahre ich einfach auf der Bundesstraße weiter. Die Autos brausen an mir vorbei, aber, wie gesagt, mir doch egal. Wenn mich jetzt jemand von hinten aufgabelt, komme ich wenigstens nach Hause. Meine Gedanken sind nicht mehr wohlwollend-gütig und so strample ich grummelnd den Berg - jaaaaaaa_haaaa, Berg! - hinauf! Auch das noch. Boah, alles Shice, alles Mist, deine Ellie!

Hier muss es doch einen Radweg geben. Das kann doch nicht sein. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich ein kleines Wegchen und ich wechsle die Seite. Tatsächlich, vielleicht hundert Meter weiter geht der Radweg lang. Schön parallel zur Bundesstraße. Spurplatten zwar, aber breit und in gutem Zustand. Einziges Manko, es ist hier total langweilig. Aber wenigstens hat der Regen aufgehört.


Mittlerweile bin ich in der Nähe von Süderstapel und es ist nicht mehr weit. Irgendwann, man ahnt es bereits, treffe ich auf eine Bundes- oder Landstraße. Wohl mit separatem Radweg. Es ist derartig windig, dass ich mich mit Tempo 9 km/h durch die Landschaft quäle. Ich überlege kurz, ob ich nicht lieber absteigen und schieben soll, aber das wäre ja eigentlich blöd. Die Anstrengung ist die gleiche und ich käme noch langsamer voran. Außerdem zählt nun jede Minute, denn ab hier ist das Ziel das Ziel, sozusagen, welches ich auch tatsächlich am frühen Nachmittag nach knapp fünfeinhalb Stunden erreiche - und das Ganze nur mit einem Plus von 8 Kilometern Umweg. Wer hätte das gedacht.


Ein paar Meter noch und ich bin in der Innenstadt. Als ich eine Tourismusbüro sehe halte ich an und erstehe eine vernünftige Radwanderkarte der Region, die mir ab jetzt und für die nächsten zwei Etappen gute Dienste erweisen wird. Also hoffe ich mal. Meine Güte, ein Tag, den man am besten aus dem Gedächtnis streicht und wenn das morgen wieder so läuft, dann fahre ich nach Hause. Geschworen.


Als ich mein hübsches Zimmer im Ringhotel Aquarium beziehe, bin ich für's erste versöhnt. Ich nehme eine Dusche und danach schlendere zum gegenüberliegenden Marktplatz. Da gibt es eine Pizzeria ...

20 Kommentare:

  1. In Friedrichstadt war ich im letzten Herbst. Da war abends nix mehr los, die meisten Resataurants geschlossen. Dort habe ich die mieseste Salattasche bekommen, seit es Dönerbuden gibt Grausig.

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    1. Abends habe ich schon längst geschlafen :-)

      Die Pizza war klasse. Heiß und fettig und auf der Hand :-)

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  2. Und ich sech noch: Eiserne Lady.
    ICH wäre längst zu Hause gewesen. Mit dem Zug und dem Auto und allem.... ... ...

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    1. Am Ende des Tages war es eigentlich gar nicht so schlimm ... oder sollte etwa mein Kurzzeitgedächtnis nicht nachtragend sein!? ... *lach* ...

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  3. Hut ab....ich hätte auch schon längst die Nase voll gehabt. Da Fahrradfahren für mich früher einen besseren Stellenwert hatte, weiß ich was Du durch machst. Heute reicht die Radlust nur bis zur nächsten Eisdiele...

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    1. Meine nächste Eisdiele ist 20 km entfernt, vorher gibt es leider kein Eis :-)

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  4. Soooooooorrrryyyyy, und trotzdem habe ich mich beim Lesen härrlichst amüsiert, :-).

    So long,
    Corinna

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    1. So so, du ergötzt dich also an meinem Leid!? ... *lach* ...

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  5. Und was war nun mit dem schmatzenden Vorderrad? Hat das noch was anderes als schmatzen gemacht? Oh je!

    Ich hatte Schleswig Holstein eigentlich immer als recht einfach in Erinnerung. Oben Dänemark, unten die Elbe und rechts und links Meer. Werde ich überdenken müssen...

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    1. Das schmatzende Vorderrad? Nun, ich wollte in Friedrichstadt in eine Fahrradwerkstadt und fragte bei der Touristikinformation nach einem entsprechenden Laden. Es gibt dort leider keinen, aber einen Mann, der nach Feierabend Räder repariert und ich bekam eine Visitenkarte mit der Telefonnummer. Aber ich hatte keine Lust, da anzurufen und so lasse ich es drauf ankommen :-)

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  6. Arme Irina... solche Tage gibt es gerade auf Solo-Tour schon mal: Wetter, Route, Essen, Leute... irgendwas ist immer. Rückblickend macht gerade aber das Überstehen solcher Tage die besten Geschichten. Du hast durchgehalten. Respekt!

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    1. Hihi ... stimmt. Man hat was zu erzählen :-)

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    2. Genauso isses. Inzwischen ist das auch mein Motto bei meinen Wander- und sonstigen Eskapaden: Was schiefgeht, gibt wieder Stoff für Geschichten. Aber das war ja wirklich ein Horrortag bei dir. Bin gespannt, wie es weitergeht.

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    3. Am Ende des Tages war alles schon fast wieder vergessen :-D

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  7. Hm. Was kann man sagen ? Das sind die Tiefpunkte, aber die machen dich auf eine Art stark, die dich das Ganze eines Tages geniessen lässt.
    Aufm Bock sitzen und am Gasgriff drehen kann doch jeder Aff- ... naja das ist zumindest leichter.
    Ritter der Landstrasse -> Pedaleure.
    Allez, Allez !

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    1. Ich finde Rad fahren total entspannend, auch wenn es nicht so gut läuft :-)

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  8. Ich finde den Tag - so aus der Entfernungsklugscheißperspektive - PERFEKT. An dem Tag kam alles, was man fürchtet und hasst, zusammen. Danach kann es zwar noch genauso weitergehen, aber man hat sich an das Chaos irgendwie gewöhnt, die Hormone ticken am nächsten Tag wieder anders, und irgendwie "war's ja auch lustig". Außerdem entwickelt man neue Flüche, situationsangepaßte ;-).
    So ein Chaostag ist auf dem Motorrad schon übel in bezug auf "schutzlos den Elementen und der Straßenführung ausgeliefert", ist per Rad wegen der Entschleunigung und dem Angewiesensein auf die eigene Muskelkraft (da ist jeder Kilometer Umweg zuviel!) noch intensiver. Ich hatte in Jugendzeiten öfter Radtouren unternommen und da ich im Norden wohnte, kenne ich da was von. Ich war mehrfach in Friedrichstadt. Klein Venedig. Dort oben ticken die Uhren anders. Sicher auch heute noch, nach 35 Jahren. Würden Dir die Radkarten vom ADFC weiterhelfen? Ich habe eine von der Region hier und bin ganz zufrieden.
    Bei deiner nächsten Tour - Alpenüberquerung? - läuft es dann wieder etwas anders. Aber es wird bestimmt wieder ein echtes Abenteuer, wie dieses ;-)!

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    1. Die Karte, die ich im Touri-Büro gekauft hatte, war von KV. Die fand ich so klasse, dass ich jetzt immer zuerst nach dem Verlag schaue, wenn ich eine Karte benötige.

      Wenn es solche Tage nicht gäbe, dann würde das ganze Abenteuer am Ende ja keinen Spaß gemacht haben. Also Hauptsache, es bleibt bei EINEM solchen Tag ... *lach* ... Alpenüberquerung? Och nöööö, ich glaube, dass es da streckenweise bergauf geht :-)

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  9. Ich kann ja erst jetzt lesen... und ich amüsiere mich hier köstlichst! *grööööhl*
    "Frosch im Waschbecken"... ekelig, aber totaaal lustig beschrieben! Ich muss mir grad echt die Tränen wegwischen...
    Und Königsberg ist auch gut *lautlach*
    Haaaaaaaach.... so, jetzt geht es wieder. Hut ab vor deiner Leistung! Und trotz der ganzen Rückschläge erfüllst du dir trotzdem meinen Traum, sozusagen. Bin echt mal stolz auf dich! :-)

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    1. Das hieß wirklich Königsberg :-)

      Mach doch einfach. Ich habe ganz spontan die Unterkünfte gebucht und dann erst nachgedacht, was ich da gemacht hatte. Ok, stornieren ist ja nicht so schwer, darin bin ich gut, aber ich fand es so ätzend, direkt in 6 Unterkünften anrufen zu müssen. Also habe ich mich in mein Schicksal ergeben und es nicht bereut. Ob ich, nachdem ich etwas Abstand gewonnen habe, direkt nochmal aufbrechen würde, weiß ich allerdings nicht.

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